Vor 35 Tagen habe ich meinen Account bei Mastodon erstellt, jetzt will ich nicht mehr weg. Um zu erzählen, warum es mir dort so gut gefällt, wo es in Zukunft hingehen könnte und was das Ganze mit Lichess zu tun hat, habe ich sogar meinen alten Blog entstaubt.
Alles startete mit einem Tweet
Ich war zwar nicht angesprochen, aber habe trotzdem mal nach „Fediversum“ gegooglet. Dann hat es nicht lange gedauert, bis ich einen Account auf einem Mastodon-Server hatte und in die Tiefen des Fediversums abgetaucht bin.
Worum geht es hier überhaupt?
Mastodon ist ein von Twitter inspiriertes soziales Netzwerk mit einem großen Unterschied: Es ist dezentral. Während es bei Twitter nur eine Website gibt (nämlich twitter.com), bei der man einen Account erstellen kann, ist Mastodon über beliebig viele Webseiten und Server verteilt. Mein Account lebt beispielsweise auf dem Server schach.social. Weil die einzelnen Server (sogenannte „Instanzen“ von Mastodon) alle untereinander kommunizieren, kann ich problemlos Personen folgen, deren Accounts auf einem anderen Server registriert sind.
Das Konzept klingt kompliziert, ist aber alles andere als neu: Emails funktionieren seit 50 Jahren auf diese Art und Weise. Von einem Mailpostfach bei GMX aus kann man problemlos ein Gmail-Postfach anschreiben, obwohl es sich um verschiedene Anbieter auf verschiedenen Servern handelt. Mastodon verschickt keine Emails, sondern Social-Media-Beiträge, aber das Prinzip ist ähnlich.
Mastodon ist aber nur eines von vielen sozialen Netzwerken abseits von Twitter, Facebook und Co. Auch andere dezentrale Dienste wie Pixelfed, Friendica, Pleroma und weitere benutzen ein standardisiertes Übertragungsprotokoll und können deswegen mit Mastodon-Servern kommunizieren. Zusammen nennt man alle diese Plattformen „das Fediversum“.
Die Sache mit den Servern
Wenn man Mastodon mal ausprobieren will, steht man bevor es los geht schon vor einer wichtigen Frage: Auf welchem der vielen Server will ich den Account erstellen? Hier erstmal vorweg: Man kann es sich später einfach anders überlegen und mit dem Account zu einem anderen Server umziehen. Die Entscheidung ist nicht für immer in Stein gemeißelt.
Viele entscheiden sich erstmal für die größte (internationale) Instanz mastodon.social oder die größte deutschsprachige troet.cafe. Viele Instanzen sind aber thematisch ausgerichtet (schach.social richtet sich an Schachbegeisterte, bildung.social wäre für mich als angehenden Lehrer auch interessant, auf mathstodon.xyz treffen sich Mathematiker:innen und so weiter). Andere Instanzen sind wiederum regional orientiert (ich könnte mich z.B. auf wue.social heimisch fühlen).
Eine halbwegs komplette Übersicht über die deutschsprachigen Server gibt es hier.
Verständlicherweise sind spätestens hier dann viele Leute verwirrt, die das „nur mal ausprobieren“ wollten, z.B. weil gerade ein zweifelhafter Milliardär Twitter kaufen möchte (oder auch nicht?!).
Und wo sind jetzt die Inhalte?
Wer sich dann einen Account erstellt hat, findet schnell einen weiteren Unterschied zu Twitter: Man muss selbst Accounts suchen, denen man folgen möchte. Mastodon schlägt nicht bei jeder Gelegenheit Personen vor, „die du kennen könntest“ oder zeigt dir Posts, „die dir gefallen könnten“. Aus meiner Sicht ist das definitiv ein Vorteil, aber es dauert ein bisschen, sich daran zu gewohnen, dass man hier selbst der Chef ist. Wenn man nicht selbst aktiv sucht, bleibt die Timeline ziemlich einsam.
Okay, aber wie findet man denn jetzt Personen, denen man folgen kann? Ein paar Ideen:
- Nach Hashtags suchen, ggf. auch auf verschiedenen Servern. Beispiel: #schach auf schach.social oder auf mastodon.social.
- Nachschauen, wem interessante Personen selbst folgen
- Im Archiv von @Fedifollows@mastodon.online suchen
- Auf fediverse.info nach Themen suchen
- Auf Trunk suchen
- Selbst aktiv sein, dann lernt man automatisch Leute kennen 😉
Insgesamt würde ich empfehlen, erstmal eher zu oft auf „followen“ zu klicken als zu selten. Wenn man dann zu viele Posts einer Person in der Timeline hat, kann man sie ja wieder entfernen.
An dieser Stelle möchte ich eine wichtige Erkenntnis einschieben: Mastodon ist zwar an Twitter angelehnt, aber es ist keine 1:1-Kopie. Wer genau das erwartet, wird enttäuscht werden.
Das „Lichess-Feeling“
Die „Community“ auf Mastodon ist natürlich viel viel kleiner als auf Twitter. Wobei, kann man auf Twitter von Community sprechen? Wir alle wissen, dass Twitter auch oft ein sehr toxischer Ort ist (selbst in der Schach-Bubble). Natürlich kann das auch auf Mastodon passieren, aber in meiner subjektiven Erfahrung habe ich die Menschen auf Mastodon bisher vor allem als freundlich und hilfsbereit wahrgenommen.
Manche Nutzer:innen auf Mastodon vergleichen das aktuelle Mastodon-Erlebnis mit den Anfängen von Twitter, als alles noch etwas „übersichtlicher“ war und eher was für Nerds als Mainstream. Dazu kann ich nichts sagen, dafür bin ich zu jung.
Mich erinnert das Ganze an 2016, als ich zum ersten Mal auf Lichess unterwegs war. Ein Mannschaftskollege hat damals von dieser Webseite erzählt, wo man einfach Schach spielen konnte. Also gut, ich habe mich angemeldet und losgespielt. Lichess war damals nicht mehr brandneu, sondern wurde schon ein paar Jahre entwickelt, aber damals gab es noch keine Schweizer-System-Turniere und viele andere Features, die für uns heute selbstverständlich sind. Auch im Vereinsschach war Lichess noch nicht angekommen. Und auch wenn das ein oder andere gefehlt hat oder nicht perfekt war, hat es mir auf Lichess trotzdem immer besser gefallen als bei der kommerziellen Alternative chess.com.
Im Prinzip ist Mastodon heute in einer ähnlichen Situation. Seit sechs Jahren wird daran gearbeitet; wie bei Lichess gibt es nur einen hauptamtlichen Entwickler, alles andere passiert ehrenamtlich. Finanziert wird die Entwicklung über Spenden. Vielleicht fehlen ein paar Kleinigkeiten verglichen mit Twitter, vielleicht ist manches etwas umständlicher – aber das ist mir ehrlich gesagt egal. (Und wenn ich mir anschaue, wie sich Lichess in den letzten sechs Jahren weiterentwickelt hat, bin ich auf die nächsten sechs Jahre Mastodon gespannt!)
Mein persönliches Fazit
Ich fühle mich auf Mastodon jedenfalls sehr wohl und mir macht es viel mehr Spaß, als Twitter zu benutzen. Durch meine Tätigkeit für die DSJ komme ich sowieso nicht ganz von Twitter weg, aber zumindest privat werde ich eher „tröten“ als „tweeten“.
Und wenn du gerne auf Lichess spielst, obwohl es da weniger Nutzer:innen gibt als bei chess.com, beispielsweise weil Lichess werbefrei und open-source ist, dann könnte Mastodon dir auch gefallen. Probiere es doch mal aus!
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